Hütte der sexualisierten Gewalt
"Sexualisierte Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Problem"
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Hütte der sexualisierten Gewalt

Am 30. Juli 2021 wurde die "Hütte der sexualisierten Gewalt" aufgestellt. Zur Eröffnung hat Nina Kummer von der Band BLOND die Hintergründe die Aktion erläutert.


Die Ausstellung und auch meine folgenden Worte thematisieren sexualisierte Gewalt und können verstörend wirken.

Sexualisierte Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Es betrifft jede soziale Schicht, jedes Alter, jedes Geschlecht.

Es wird viel zu oft mit einem Achselzucken akzeptiert, einfach weil man ständig und überall damit konfrontiert wird. Sexualisierte Gewalt ist ein Instrument zur Demütigung und Machtausübung. Sie ist alltäglich. Das sollte sie aber nicht sein.

Es gehört nicht zum normalen Leben dazu, dass man im Club an den Hintern gefasst, auf dem Nachhauseweg verfolgt wird oder einem in der Straßenbahn Kussgeräusche aufgenötigt werden und Autos im Vorbeifahren hupen. Es gehört auch nicht zum normalen Leben, dass man selbst in Beziehungen bedrängt wird und am Ende ein „Nein“ nicht ausreicht.

In meinem Alltag und dem meiner Freund:innen ist das Problem allgegenwärtig. Deswegen war es irgendwie logisch, dass wir irgendwann einen Song dazu machen. Wir haben uns in unserem aktuellen Song „Du und Ich“ mit diesem Thema beschäftigt und gemeinsam mit Wildwasser e.V. und dem KOSMOS Chemnitz passend dazu die „Hütte der sexualisierten Gewalt“ erdacht. Weil wir am Ende Musiker:innen sind und über den Song hinaus wenig tun können, wollten wir an dieser Stelle unbedingt mit Expert:innen zusammenarbeiten, die sich täglich ganz real damit auseinandersetzen.

Wildwasser e.V. ist ein Verein, der sich zum einen als Beratungsstelle für Betroffene sexualisierter Gewalt versteht, zum anderen aber auch mit Hilfe von Kinderschutzprojekten präventiv arbeitet. Der Verein agiert im Raum Chemnitz/ Erzgebirge und hilft jährlich etwa 200 Betroffenen und deren Angehörigen in ca. 400 – 500 Beratungsgesprächen, wobei die Mehrheit mehr als einmal kommt. Diese Zahl zeigt, wie groß das Problem ist. Die Plattform KOSMOS Chemnitz wiederum stellt sich schwerpunktmäßig der Frage, wie wir in Zukunft in unserer Gesellschaft miteinander leben wollen. Mit der „Hütte der sexualisierten Gewalt“ möchten wir einen Beitrag zu einer wichtigen Debatte leisten. Innerhalb der Ausstellung können die Besucher:innen anonymisierte Erfahrungsberichte von Betroffenen sexualisierter Gewalt lesen.

Wir alle tragen Verantwortung dafür, in was für einer Gesellschaft wir leben.

Die geschilderten Erfahrungen reichen vom Verschicken ungebetener Dickpics und schmieriger Nachrichten, bis hin zu Stalking und Vergewaltigung. Sexualisierte Gewalt beginnt im Kleinen, durch ein paar Worte, mit ein paar Gesten. Das Dulden der vermeintlichen „Harmlosigkeiten“ führt dazu, dass die krassen Sachen irgendwie auch nicht mehr als so schlimm empfunden werden. Das Häuschen ist gut sichtbar an zentraler Stelle in der Chemnitzer Innenstadt aufgebaut, denn das Problem sexualisierter Gewalt existiert ebenfalls mitten in unserer Gesellschaft.

Wir alle tragen Verantwortung dafür, in was für einer Gesellschaft wir leben. Wir haben sicher auch eine Vorstellung davon, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen. Wir müssen uns überlegen, wie wir mit dem Thema sexualisierte Gewalt umgehen wollen. Betroffenen wird oft mit Vorurteilen und Schuldzuweisungen begegnet, statt mit Zuspruch, Verständnis und Unterstützung. Während ich die Erfahrungsberichte gesammelt habe, ist mir eins bewusst geworden: Die Menschen beschreiben ungefragt, welche Kleidung sie getragen haben oder sie fragen sich, ob sie vorher vielleicht zu nett gewesen sind. Manchmal fangen die Erfahrungsberichte mit dem Satz an: „Ich weiß gar nicht, ob das so richtig zum Thema passt“, und enden mit Berichten von offensichtlichen Fällen sexualisierter Gewalt. Betroffene misstrauen ihrer eigenen Wahrnehmung und suchen die Schuld oft bei sich selbst. Wir lernen ja auch von klein auf, wie wir uns zu verhalten haben: „Meide dunkle Straßen, geh nicht allein raus, zieh nicht so einen kurzen Rock an“, usw. Als ob unser vermeintlich „falsches“ Verhalten Schuld daran ist, und nicht das der Täter:innen.

Wir müssen anfangen Betroffenen zu glauben!

Betroffenen fällt es deshalb schwer, sich anderen Menschen anzuvertrauen und Hilfe zu suchen. Wir müssen anfangen Betroffenen zu glauben! Wir müssen anfangen, unser eigenes Verhalten und das unseres Umfeldes zu reflektieren. Wir alle kennen Betroffene, aber keiner kennt Täter:innen. Das kann nicht stimmen.

Wenn wir dem Kumpel, der Mädchen an den Arsch fasst, nicht kritisieren, wenn wir uns für unseren Freund, der im Club Frauen belästigt, mit den Worten „Der ist grad voll betrunken“ verteidigen, wenn wir Betroffenen mit den Sätzen „Jetzt hab dich doch nicht so, war sicher nur nett gemeint“ begegnen, immer dann sind wir Teil des Systems. Mit Wegschauen, Weghören, mit Entschuldigen relativieren wir die Tatsachen.

Wir müssen anfangen, Systeme zu demontieren, die so etwas dulden oder ermöglichen. Das mag unangenehm sein, aber alles andere bringt nichts. Sexualisierte Gewalt entspricht äußerst selten der Erzählung des nachts aus dem Gebüsch springenden fremden Mannes. Das Problem begegnet uns nicht nur in dunklen Ecken, sondern am hellichten Tage im Alltag. Der häufigste Tatort sind die eigenen vier Wände. Auch dafür steht symbolisch diese Hütte.

Johann Bonitz, Lotta Kummer & Nina Kummer (BLOND), Julia Voigt (KOSMOS Chemnitz), sowie Saskia Jäkel & Sandra Ludwig (Wildwasser e.V.).
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